Nie von der Schokoladenseite – Die Schauspielerin Carole Lombard (2024)

Am meisten glänzte sie, wenn sie rücksichtslos sein durfte und die Worte nur so aus ihr heraussprudelten. Wo ihr Studio Paramount auf kultivierte Gewitztheit setzte, gab Carole Lombard (1908–1942) lieber den verbalen Straßenkämpfer. Eine Würdigung zum Geburtstag.

In zwei ihrer berühmtesten Filme spielte Carole Lombard Schauspielerinnen. In Napoleon vom Broadway (Twentieth Century, 1934) stellte sie eine Diva dar, die darin aufgeht, aus ihrem Leben eine Schmierenkomödie zu machen und aus allem eine große, übertriebene Szene. In Sein oder Nichtsein (To Be or Not to Be, 1942) muss ihre Figur im Angesicht der SS etwas dezenter agieren, aber trotzdem geht es auch hier um eine selbstverliebte Berühmtheit, die ihrem Leben mit den Mitteln des Overacting begegnet. Die Momente, wenn sie zur hysterischen Theatralik ansetzt, um ein Problem in einer Lawine aus Drama zu ersticken, gehören zu den besten Pointen dieser beiden Filme. Die darstellerische Limitierung der beiden Schauspielerfiguren ging sie an, als ob es nichts Schöneres gibt.

Bedingt wandlungsfähig

Die Schauspielerin Carole Lombard spiegelt sich in diesen Rollen, wenn sie auch nicht deckungsgleich sind. So war auch sie nur bedingt wandlungsfähig. Ihre Filmografie beweist es anschaulich. Denn den größten Teil ihrer Karriere stand sie bei Paramount unter Vertrag – zu einer Zeit, als es das Studio von Ernst Lubitsch, von Gesellschaftskomödien voll Sex, Ironie und Spitzzüngigkeit war. Auf dem Papier hätte es die perfekte Kombination sein müssen. Paramount war aber eben auch auf Prestige und großes, kunstvolles Kino bedacht. Während MGM zeitgleich seine Filme auf seine Stars zuschnitt, steckte Lombard in einem Studio fest, das auf den Glamour seiner Filme achtete. Schauspieler wurden dabei nur bedingt mit Rücksicht auf ihre Stärken besetzt.

Lombards größte Erfolge und ihre besten Filme waren Screwball-Komödien, für die sie durchgängig an andere Studios ausgeliehen wurde. Die beiden oben genannten Werke entstanden für Columbia respektive United Artists. Mein Mann Godfrey (My Man Godfrey, 1936) wurde von Universal produziert. Denen ist nichts heilig (Nothing Sacred, 1937) von Selznick International Pictures. Mr. & Mrs. Smith (1941) von RKO. Sie glänzte in einem Genre, das für Paramount – damals mit MGM das größte Studio Hollywoods – schlicht nicht glamourös genug war. Für Screwball-Komödien reichten gute Drehbücher und Schauspieler. Es war aber nichts, was als Ausweis der eigenen Kultiviertheit herhalten konnte. Sie waren schlicht zu billig zu bekommen.

Am falschen Ende des Spektrums

Bei Paramount wurde Carole Lombard lange als Schönheit eingesetzt, die am Rande steht und auf die Handlung ausstrahlt. Nirgends ist das besser zu sehen als in The Eagle and the Hawk (1933). Dort befindet sich Fredric Marchs Weltkriegspilot mitten im Film auf Heimaturlaub und trifft auf eine von Lombard gespielte ätherische Schönheit, die mit ihrem kurzen Auftritt den Krieg noch schmutziger und hässlicher erscheinen lässt. No Man of Her Own von 1932 kommt ihren Sensibilitäten noch am nächsten, wo sie als grundsolide Bibliothekarin mit einem Trickbetrüger (Clark Gable, ihrem späteren Ehemann) um die Vormacht in der Ehe streitet. Nur werden bezeichnenderweise nach der Hälfte des Films die Auseinandersetzungen eingestellt, und es wird harmonisch aufs Happy End zugearbeitet – weshalb sie wieder nur schön aussehen musste. Aber auch nach ihrem Durchbruch mit Napoleon vom Broadway und ihren sich immer deutlicher abzeichnenden Einsatzgebieten wollte es mit Lombard und ihrem Studio eben nicht klappen.

Filme wie Fast and Loose (1930), wo sie ein Arbeitermädchen spielt, das einen verwöhnten Millionärssohn erden soll, oder Man of the World (1931), wo sie als Millionärstochter zeigt, die einem desillusionierten Idealisten wieder zu Lebensmut verhilft, setzten sie am falschen Ende des Spektrums der Tugendhaftigkeit ein. Denn am meisten glänzte sie, wenn sie rücksichtslos sein durfte. Trotzdem vermögen diese beiden B-Movies zu vermitteln, was Lombard ausmachte. Beide Filme sind hölzern – der erste mehr, der zweite weniger –, aber sobald Carole Lombard ihren Mund aufmacht und die Worte nur so heraussprudeln, zieht Leben in sie ein. Ein ideales Paar (Made for Each Other, 1939) – von David O. Selznick für sein Studio produziert – setzt das bewusst ein. Dort spielt sie eine Ehefrau in einem stocksteifen Umfeld, die alles dermaßen aufwühlt, dass die leichte Komödie zum düsteren Melodrama mutiert.

Unbändiger Wille

Was in ihren anfangs beschriebenen Rollen als Overacting eingesetzt wird, sind ihre Energie und ihr Lebenswille. Im Paramount-Film Supernatural (1933) erscheint das als Besessenheit. Wieder einmal spielt sie eine schöne, gesittete Millionärserbin, nur ergreift der Geist einer Frau Besitz von ihr, die gerade auf dem Elektrischen Stuhl starb und nach Rache dürstet. Übergangslos wird aus dem netten Mädchen eine Wahnsinnige, aus deren Augen ein unbändiger Wille spricht, sich das zu holen, was sie will. Koste es, was es wolle. Wo Paramount eben kultivierte Gewitztheit brauchte/verlangte, war Lombard ein verbaler Straßenkämpfer, der seinem Gegenüber nur zu gern in die empfindlichsten Körperteile treten würde, wenn es sein muss – im übertragenen Sinne, aber oft schien in ihren besten Filmen nicht viel zu fehlen, um ihre energetische Figur auch zu diesem Punkt hin eskalieren zu lassen.

Howard Hawks war es, der das als Erster erkannte und einsetzte. Der die überschwängliche, schlagfertige und rasend schnell redende Frau, die bei Partys alle Aufmerksamkeit auf sich zog, in Napoleon vom Broadway nicht versuchte zu kultivieren. Als Hitchco*ck sagte, dass Schauspieler wie Vieh zu behandeln seien, brachte sie drei Kühe an das Set von Mr. & Mrs. Smith, denen die Namen der Hauptdarsteller um den Hals gebunden waren. Am besten war sie eben, wenn sie sie selbst sein und richtig vom Leder ziehen konnte.

Die Narben bleiben

Ihrem energetischen Willen ist es auch zu verdanken, dass sie überhaupt zum Star wurde. Nachdem sie schon in Stummfilmen kurz Hauptrollen gespielt und trotzdem ihren Vertrag bei Fox verloren hatte, erlebte sie 1927 einen Autounfall, der ihr Gesicht zerstörte. Unter einer Bandage musste sie wochenlang durch einen Strohhalm trinken und essen, weil es nicht bewegt werden durfte. Einer der teuersten Schönheitschirurgen der Zeit gab ihr trotzdem nur wenige Chancen, dass sie noch ein Gesicht für Hollywood haben würde. Es blieben zwar Narben zurück – am prominentesten auf ihrer linken Wange –, aber selbst diese führte nicht dazu, dass sie sich für eine Schokoladenseite entschied. Die Narben waren da, sie waren ein Teil von ihr, und Hollywood musste es einfach hinnehmen.

Im Jahr 1942 starb sie bei einem Flugzeugabsturz – weil sie nicht warten wollte und sich mit der „Wissen Sie nicht, wer ich bin?“-Karte in ein schon mit Soldaten und Kriegsmaterial überladenes Flugzeug nach Los Angeles quetschte. Clark Gable verkraftete ihren Tod kaum, weshalb seine Einsätze als Pilot im Zweiten Weltkrieg mehr oder weniger suizidal gewesen sein müssen. Sie war gerade mal 33 Jahre alt. Zwischen einem Unfall, der ihre Karriere hätte beenden müssen, und einem viel zu frühen Tod spielte sie aber ein paar der lebendigsten Figuren in ein paar der lebendigsten Filme, die Hollywood je hervorgebracht hat.

  • Auf Facebook teilen
  • Im Facebook Messanger teilen
  • Im Facebook Messanger teilen
  • Auf Twitter teilen
  • In Whatsapp teilen
  • In Telegram teilen

Es gibt bisher noch keine Kommentare.

Nie von der Schokoladenseite – Die Schauspielerin Carole Lombard (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Catherine Tremblay

Last Updated:

Views: 6490

Rating: 4.7 / 5 (47 voted)

Reviews: 94% of readers found this page helpful

Author information

Name: Catherine Tremblay

Birthday: 1999-09-23

Address: Suite 461 73643 Sherril Loaf, Dickinsonland, AZ 47941-2379

Phone: +2678139151039

Job: International Administration Supervisor

Hobby: Dowsing, Snowboarding, Rowing, Beekeeping, Calligraphy, Shooting, Air sports

Introduction: My name is Catherine Tremblay, I am a precious, perfect, tasty, enthusiastic, inexpensive, vast, kind person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.